Sonntag, Dezember 15, 2013

Die Twittertheaterwoche


Erst war ich skeptisch: Twittertheaterwoche. Was soll das bringen? Ich bekämpfte diesen unnötigen Reflex erfolgreich damit, das ich mich daran erinnerte, neulich überlegt zu haben, man müsse doch mal was mit Twitter und Theater machen. Also gut: Das wird bestimmt was Besonderes, dachte ich. Und ich wurde gewiss nicht enttäuscht. Nachdem ich das Thaliatheaterangebot mehr oder weniger verpasst habe, bin ich erst mit dem Schauspielhaus Bochum eingestiegen. Interessant: die Mischung aus Aufführungsnews und Zitaten aus dem Stück, dazu entspannte Twittergespräche und diverse Vernetzungen mit Theatern oder Theatermachern, das hat was richtig Großes und Spannendes. Besonders berührend aus Bochum war das Portrait des Schauspielhausnachtwächters und Suhrkampautors Wolfgang Welt, der gute Buchkritiken bekam, aber nicht vom Schreiben leben kann. So kann's gehen! Die virtuell präsentierte Bühnenwelt rockte auch in den folgenden, gleichsam berauschenden Tagen das Twitterhaus.
Da darf man sich dann manchmal auch sehr freuen, wenn man von Nachtkritik favorisiert oder retweeted wird oder Gespräche mit den Theatern selbst führen kann. Oder auch über die schönen Kontakte mit einfachen Theaterleuten. Diese Schrankenlosigkeit ist vor Allem für Leute wie mich, die aus gesundheitlichen Gründen auf Theaterbesuche weitestgehend verzichten müssen, sehr erfrischend und unterhaltend.
Als Abschluss am Freitag gab es Berichte von einer Aufführung von Jean Pauls Flegeljahren aus dem Münchener Residenztheater. Schön eingeleitet durch ein Interview mit Regisseur Albert Ostermeier, wurden Spielfreude und Textwitz durch die Tweets aus München bühnenlebensnah transportiert.
Man kann nur an die Theater appellieren und wird damit vermutlich offene Türen einrennen, das Medium Twitter auch im Theateralltag häufiger so schön zu nutzen. Ja, die Twittertheaterwoche, das war ein RIESENDING!

Montag, November 25, 2013

Ideologie/Widerstand/Revolution

Das Spannungsgefüge zwischen den Bedeutungskomplexen Ideologie/Widerstand/Revolution ist explosiv genug, um daraus ein abendfüllendes, pulsierendes, energetisches Stück zu machen.
  1. Ideologien sind mythische Systeme, die aus politischen Erzählungen leben. Diese politischen Geschichten weichen oft von der Realität ab und bestimmen trotzdem die Politik der Regierungen.
  2. Widerstand bezeichnet die Verweigerung des Gehorsams oder das in Opposition stehen gegenüber den Herrschenden. Widerstand ist hier Ideologiekritik als Gegentat.
  3. Eine Revolution ist der Umsturz einer ausdifferenzierten, bestehenden Ordnung durch Widerstand. Wir sprechen hier von gewaltloser Revolution. Dieser Widerstand kann aktivistisch, künstlerisch oder intellektuell betrieben werden. Notwendig dafür ist eine Entmythisierung von Ideologie zu objektiver Realität durch oppositionelle Gruppen.
  4. Wie ist der Widerstand des Theaters? Das Theater entwickelt Widerstandsszenarien und spiegelt das Selbstverständnis der Machtinstanzen und der oppositionellen Kräfte (wirklich und zugeschrieben). Daraus entsteht seine Deutungshoheit.
Reißt die abgefuckten Gedankengebäude ab! Und zwar durch: THEATER!







Montag, November 18, 2013

Der Michel rennt aus der Hütte


Der Bedeutungskomplex der Reduktion, erlaubt, in Bezug auf die Bühne angewandt, größere Möglichkeiten der Darstellung:

Zum Beispiel eine Szene, die unerträgliche Spannung hervorruft durch extreme Reduktion der Zeichen und des Tempos: das ist so, als wenn Sie aus einem durchschnittlichen Wohnzimmer Fernseher, Laptop, Handy und Stereoanlage entfernen und dem jeweiligen Michel darin sagen, er möge nicht durchdrehen, sondern nur ruhig sitzen und an die Wand starren. Nach spätestens einer Stunde wird der aus der Hütte rennen.

Oder: Jede Darstellung, die aus Reduktion einen ästhetischen, intellektuellen  und atmosphärischen Mehrwert gewinnt, wie auch immer /nur mit den Augen reden/mit den Füßen greifen/nur mit dem Mund ausdrücken/mit Maske/reduzierte Sprache/reduzierte Musik, reduzierter Klang, Gang, Blick, Körper, Kopf, reduzierte Mimik, Moral, Wirklichkeit, etc.

Auch: Die Reduktion der Sinneswahrnehmung nimmt dem vom heutigen Leben extremstens sinnesgestressten Zuschauer mit in ein anderes Land. Es ist das Reich der Langsamkeit, des Schweigenden, des (fast) leeren Raums. Fragmente aus Sein, Schatten, Träume beleben dieses Land, hin zum Ausgangspunkt des noch nicht Denkenden, nur Wahrnehmenden. Im Idealfall schreitet der Zuschauer geistig durch eine Theaterwelt aus reduzierten Zeichen, die ihn gleichsam vom Wahrnehmungsmüll entrümpelt und ihm dafür etwas bietet, das er sonst nicht bekommt.
 
Bleibt nur die Frage, was man tun muss, damit der Zuschauer sich darauf einlässt. Und eben nicht schreiend rausrennt.
 
 

 

Montag, November 11, 2013

Gestammelte Laute / endlose Schreie

Im Theater gibt es nicht nur Sprache im Wortsinn, nein, es gibt auch Sprache im archaischen, lautlichen oder tonhaften Sinn.
Das wissen wir frühestens seit der griechischen Praxis der Klagelaute in der antiken Tragödie oder auch seit Artaud's Theorie eines Theaters der Grausamkeit und den Experimenten, die Peter Brook und viele Andere mit dieser Theorie angestellt haben.
Aber es ist eine zeitlose Idee und: Etwas total Faszinierendes. Warum? Weil durch die lautliche Ebene tiefere Schichten des Bewusstseins freigesetzt und ausgedrückt werden können. Die Affenartigkeit auch noch des urbanen Menschentiers freizulegen, seinen Bezug zu den Eingeweiden: viszerale Macht des Instinkts. Aber wozu würde das führen?
Man stelle sich einen Schrei vor, der alles Leid der Welt umfasst, allen kreatürlichen Schmerz enthält. Dann macht man einen Theaterabend daraus. Eine Choreographie nackter Körper, die im Veitstanz über die Bühne krampfen und zuckend archaische Laute oder heisere, endlose Schreie von sich geben. Dazu Trommeln, elektrische Klangcollagen und verzerrtes Nachrichtengeplapper. Puppen, die ihre sklettigen Finger ausstrecken und die ganze Zeit klappern, ein einziger, riesiger Alptraum von fünf Stunden Länge, der bei Hunderten Zuschauern Traumata hervorrufen würde, Theaterfolter, bis die Zuschauer mitschreien....
Ja, es ist eine faszinierende Idee, aber: die Menge macht das Gift.

Montag, November 04, 2013

Ein neues Stück schreiben/WERKSTATT

Also, ich bin mal wieder soweit und will ein glorreiches, neues Stück schreiben. Irgendwie muss man ja anfangen. Ich muss zugeben, dass ich die Dramatik aus einer zeitweisen Abneigung und auch aus Zeitmangel heraus vernachlässigt habe. Wie das halt manchmal so is'. Doch ich bin zurück. Und will ein Stück schreiben.
Erster Schritt:  ausreichend Bücher über/mit Theater in die Leseecke packen und regelmäßig lesen. Was ich  dann brauche, ist ein adäquates Thema, verrückte Figuren und einen lockeren, angedeuteten, roten Faden, in dem sich später die Performance entfalten kann.
Parallel dazu lese ich Kritiken, schaue mir Theaterfotos an und versuche, dem Gegenwartstheater auf der Spur zu bleiben.
Wichtig ist auch, dass ich mir grundlegende Gedanken über Theater mache, wie funktioniert es, wie ist es, was kann es leisten, was nicht? Das fließt alles mit ein.
Irgendwann geht die Träumerei los. Ich warte darauf, dass sich die Figuren verhalten, bewegen, sprechen, dass Inhalte anklopfen und sagen, hey, ich bin wichtig. Das kann ganz schön lange dauern, bis alles soweit stimmt.
Erste Schreibversuche kommen früher oder später dazu, einzelne Monologe, erste Dialoge, Bekenntnisse, Einstellungen, Ideologien.
Dann arbeite ich so weiter, bis der Rohbau fertig ist, dann wird geschrieben und am Ende steht das Haus da.
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Ich habe ja schließlich auch noch andere Dinge zu tun.

Samstag, Oktober 26, 2013

Für die, die keine Stimme haben

Für die Gescheiterten, die Gebrochenen, die Armen, die Entrechteten, die Nackten, die Verzweifelten, die Hoffnungslosen, Verrückten, Gestrandeten, die Außenseiter, die Sterbenden, die Opfer, die Verlorenen, die Gezeichneten, die Kranken, die Gewalttätigen, Drogensüchtigen und Obdachlosen, die Flüchtlinge, Minderheiten, die Diskriminierten, Ausgestoßenen, Verdammten, Vogelfreien, die Lächerlichen, die Zerstörten, die Kaputten, Geschlagenen, Vergewaltigten, die Dicken, die Gefallenen, Erniedrigten, Verbannten, die Stricher, Nutten und Zuhälter, die Ganoven, Despoten, die Arbeitslosen, Ausgebeuteten, die Verlierer, Narren und Gestörten, die Umnachteten, Behinderten, die Flaschensammler, die Unterdrückten, Gefolterten, Schreienden, die Toten, die Vergessenen, die Verwirrten, die Schutzlosen, Schwachen und Abstürzenden, die Unterschätzten, die Hungernden, die Verhungerten, die Selbstmörder, Diebe, Einbrecher, die Versager, die Dummen, die Ausgebrannten, die Verfolgten, die Unfreien, die Dementen und Krebskranken, die Gehassten und Geschassten, die Amputierten, die Komischen, die Merkwürdigen, Seltsamen, die Sonderlinge und Eigenbrötler, die Verformten, die Hässlichen, die Missbrauchten, Hypnotisierten, Gegängelten, Enttäuschten, die Schrägen, die Verschlossenen, die Gequälten.
Für all die spricht das Theater.   

Copyright C. Peitzmeier

Sonntag, Oktober 20, 2013

Wieder mal gegottschefft

Ein ganz Großer ist gegangen. Dimiter Gotscheff war, ähnlich wie Heiner Müller, dessen Texte er so oft inszeniert hat, ein absoluter Schwarzmaler und ein Vertreter des langsamen Theaters.
Und ähnlich, wie im Theater heute noch gerne gemüllert wird, wurde und wird auch gerne und viel gegottschefft. Zumindest bei mir ist es so. Dieser Mann war einfach ein Vorbild, auch für Leute wie mich, die ihn nie persönlich getroffen oder gekannt haben.
Ich habe in den Neunzigern mal im Fernsehen ein Gotscheffporträt gesehen. Da hat der, eine nach der anderen qualmend, von der Wichtigkeit des beobachtend durch die Straßen-Laufens geredet. Noch heute, wenn ich rausgehe, denke ich regelmäßig an diese frühe Inspiration.
Oder der Adlerblick. Genau das gleiche, seltene Auge wie bei Sam Beckett. Natürlich will man gern genauso scharf sehen, genauso wirklich wahrnehmen, genauso wirken.
Auch die langen Haare. Dimiter Gotscheff hat viel zu meinem Selbstbewusstsein beigetragen, als Künstler offene, lange Haare tragen zu dürfen und trotzdem sehr intellektuell auszusehen.
Die Entdeckung der Langsamkeit war zentrales Anliegen von Gotscheffs Theaterarbeit. Das hat viele extrem ermüdet, aber manchen auch den Blick in eine andere Welt gestattet, eine Welt die sich solange Zeit lässt, bis sie lavaartig erstarrt und nur noch das Hören wirkmächtig macht, eine Welt, schwarz, tot, aber auf gewisse Weise unbeschreiblich schön und groß. Wie oft habe ich mir gewünscht, diese Konzentration zu erreichen, in so einer Welt zu leben.
Man will einfach so sein wie die Stars. Und wenn ich das nächste Mal durch die Straßen ziehe, kann ich sagen, so, jetzt haste wieder mal gegottschefft.